Testo Jugendfreunde

Testo Jugendfreunde

(nach dem gleichnamigen Spitzweg-Bild) Ja - so ähnlich hatte ich's mir vorgestellt nach seinem Brief: Dieses Haus hier am Dorfrand. "Kirschen wachsen mir ins Schlafzimmer", schreibt er, "russischer Wein klettert am Stein. Im Living, in der Stube, zirpt das Heimchen. Kannst es suchen, wenn du kommst." Den Deubel werde ich! "Allemagne profonde, nirgendwo sonst mehr zu finden, aber hier," schreibt er, "wo auf ungepflasterten Straßen noch Karren holpern, von Gäulen gezogen, aber hier, weiter im Osten, am Grenzfluss, über den Schlittengespanne im Winter jagen, aber hier - mein Lieber." Hinterm eichenbewachsenen Wall liegt es, das Haus. Holztreppe runter in den Vorgarten. Der ist vollgewuchert. Riecht es nach Tieren? Kühen? Schweinen? Jedenfalls nach Geräuchertem und nach Erde und Pflanzen und irgendwas Uraltem. "Hier bin ich, hier bleib ich", schreibt er. Hier also! Abseits total. Landsitz, Datsche könnt' man ja verstehen, aber hier und so und für immer? Sind wir nicht damals abgehauen gemeinsam aus der kleinen, alten, schönen, alten, kleinen deutschen Stadt, wo immer noch die braune Kacke dampfte. Vor - herrje - vor tausend Jahren. In der Nacht, als Brandsirenen heulten und die Flammen aus dem Stadt-Turm schlugen. Unser Fanal, um aller Welt zu zeigen..... Nein - es ist kein Herrenhaus. Bisschen kleiner, bescheidener sozusagen, obwohl - sein Ding war das ja nie: Bescheidenheit. Hier, in so was, wohnten Pfarrer, Bader, pensionierte Offiziere. Halbhoher Zaun auf einem Mäuerchen ringsum. Und Rosenstöcke. Rosenstöcke!!! Wie er uns das vorgesungen hat, verrenkt über der Klampfe, die Knödelstimme des Musikprofessors imitierend: "Rosenstock, hold erblüht, hold erblüht, wann i mei Schätzel sieh...." Hanna, die Brombeeräugige, hat er damals damit rumgekriegt. Hanna, heute auch schon über sechzig, eine Zeitlang Europaparlament, jetzt Afrika, Aidshilfe oder sowas. Hat er noch was von ihr gehört? Wir zu Drift, wann war das zuletzt? Barrikade am Auslieferungslager Bild? Oder doch Nordhorn Range? Bei der Beerdigung von Holger Meins soll sie noch dabei gewesen sein. Ich mein, hätt' sie gesehen kürzlich, als sie's im Fernseh'n nochmal brachten. Ala - les neiges d'antant. Ein Köter kläfft. Kommt angerannt. Schnuppert an Schirm und Tasche. Und kläfft und kläfft. Na - sowas gehört dann wohl dazu. Doch wenn er jetzt herauskommt, so als grüner Jägersmann in Stiefeln und mit Schießgewehr, dann heißt es: Kehrt, und zwar sofort und auf dem Fuß. Hat er nicht mal geschwärmt vom Ansitz auf den Fuchs bei Frost, im Winter, nachts, Mond überm Schnee, - dies' Hermann Löns-Gesülze - im Interview in unserem Blatt, als jener Staatsminister - sein Mandant - jemand' erschossen hatte bei der Jagd? Wie das geregelt wurde, h oben auch wir nicht rausgekriegt. MUSS er mir noch erzählen. Überhaupt - da gibt's noch Einiges, Herr Rechtsanwaltl Er hat sich damals diese Hochseeyacht "Marlene" angeschafft, die dann bei seiner dritten Scheidung wieder wegging. Er schreibt an seinen Memoiren.heißt es. Da hätte ich noch Einiges, was er bestimmt nicht weiß. Die Sache mit Giangiacomo zum Beispiel, da haben wir ihn ganz schön gelinkt. Sag ich ihm ober nur, wenn er über den Deal mit Djindjic plaudert, wobei er den Transfer gemanagt haben soll. Die Summen will ich gar nicht wissen, die stimmen sowieso nie. Na ja - den Feuchtschwamm drüber und über diese Stasi-Sache sowieso. Und die Afghanistan-Connection? AI Quaida? Das ist doch alles Quatsch - oder? Kokettiere damit bloß nicht, Dissi-Stenz, das ist viel zu heiß. Ach was - ich will's auch überhaupt nicht wissen. in unserem Alter! Bitte! Nein - ich will sowas heute nicht mehr wissen. Viel wichtiger ist mir ja sowieso was anderes: Hat er verraten seinerzeit, dass ich nicht schwimmen konnte? Meine Aquaphobie? Verraten an die Metzerstraßen-Bonde, die mich dann in den See der Ton und- Sandgrube geschmissen hat, wo ich versoffen wäre, hätt' Sergeant Bob aus Tennessee, der Ami und Besatzer, der grad mit Anna im Gebüsch Zugange war, mein Schreien nicht gehört und mich herausgeholt. Im Sonner 45. Wenn er's gesteht, bekenne ich, dass ich es war, der seiner zweiten Frau, der wunderbaren Caroline, mit der ich eine Zeit.... Seine Konten in der Schweiz, die hab ich ihr verraten, was ihn ja fast in den Ruin getrieben hat. So- da kommt er raus. Wer sagt es denn! Von wegen: Jägersmann"! Rostfarbener Housmantel. Pfeife in der Hand. Das Resthaar bis zum Kragen - Erinnerung an die Epoche nach der ja unsereiner immer noch benannt wird. Das weiße Tuch - sein Markenzeichen - hängt ihm aus der Tasche. Geklautes hat er damit gern verborgen. Mein Manifest von 1848, die Erstausgabe, beispielsweise, mit den Initialen beider Autoren hat er vor meinen Augen glatt verschwinden lassen. Das krieg ich diesmal wieder. Dafür geb ich ihm dann den Savigny, voll Glossen des Verfassers, von 1803 zurück. Hallo. Sieh da, ich hab ihn überrascht. Per e-mail hatte ich zwar angedeutet, dass ich komme, nicht aber, wann. Sein Gesicht - tatsächlich - gleicht immer mehr dem sei- ner Mutter, die er hasste. Seinem Vater hat er nie verziehen, dass der sich von den Nazis in den Knast hat stecken lassen und ihn allein ließ unter dem Terrorregime seiner gewalttätigen Mutter. Und ich war neidisch, weil er einen Heldenvater hatte und nicht bloß diesen kleinen, miesen Nazipapa. ?Na", sage ich, ?bist du es wirklich, dieser zum Pfahlbürger gewandelte Globalisierungsgegner in Proudhon'scher Idylle?" Jetzt breitet er die Arme aus und strahlt und sagt: ?Genau - und er empfängt mit Freude den auf der Heimstatt-Suche ewig herumirrenden Bronstein-Fan." Wir lachen unser Lachen. Und ich gebe dem Fahrer, der vor dem Wagen oben auf dem Wall drauf wartet, Zeichen, den schweren Koffer herzubringen. Vielleicht werd ich tatsächlich länger bleiben. Ich habe den Burgunder mitgebracht, den 69er Corton. ?Wundersame Spießgesellen, denkt ihr noch an mich, wo wir an der Elbe Wellen lagen brüderlich.....", stimmt er an. Und ich singe: ?Hey! Mister Tambourin Man, play a song for me in the jingle jangle morning l'll come followin' you....". Ein helles und ein tiefes Frauenlachen hört man hinten im Haus. Na, denn.....
Testi Franz Josef Degenhardt